Ein politisch aktiver Bürger als SRG-Journalist: im Inland unvorstellbar, als Auslandkorrespondent kein Problem. Bruno Kaufmann, langjähriger Skandinavienmitarbeiter von Radio SRF, leitet als Mitglied der schwedischen Grünen die Wahlbehörde und den Demokratierat seiner Wohngemeinde. Die Chefredaktion sieht darin keinen Widerspruch zu den publizistischen Leitlinien.
Schweizer Radio und Fernsehen hat Angst, Angst vor der Meinung seiner Mitarbeitenden. Deshalb achtet die Chefredaktion peinlichst drauf, dass sich SRF-Angestellte nicht verfänglich äussern. Im Programm sowieso nicht, aber auch sonst nicht in der Öffentlichkeit. Selbst bei geringfügigen Hinweisen auf eine persönliche politische Note müssen die Fehlbaren mit einer Rüge rechnen. So zum Beispiel jener TV-Redaktor, der mit einem simplen «Bravo!» auf Twitter einem Jugendfreund zur Kandidatur für ein politisches Amt gratulierte. Der frühere Chefredaktor und heutige MAZ-Direktor Diego Yanez taxierte dies als unzulässige politische Äusserung. Er reagierte wohl auch deshalb so sensibel, weil die Gratulation einem SP-Politiker galt und sie ein NZZ-Redaktor öffentlich thematisiert hatte. Nichts ist der SRF-Führung lästiger, als sich gegen die Vorwürfe der Linkslastigkeit zu wehren. Erst kürzlich sagte Yanez’ Nachfolger Tristan Brenn: «Die ewig gleiche Platte vom linken Fernsehen mag ich nicht mehr hören.»
Bei allem Kontrollbemühen bleibt eine Flanke offen: Die Publizistischen Leitlinien, aus denen die erwähnte Rüge abgeleitet wurde, gelten nicht für freie Mitarbeiter, egal wie prominent sie im Programm präsent sind. «Nur Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit einem festen Vertrag verpflichten sich darauf, ihre politische Betätigung zu begrenzen», erklärt Fredy Gsteiger, Auslandchef und stellvertretender Chefredaktor Radio SRF. Das führt dann zur eigentümlichen Situation, dass der Skandinavien-Korrespondent von Radio SRF neben seiner regelmässigen Berichterstattung aus den nordischen Ländern auch noch als aktives Mitglied der Grünen Partei Schwedens tätig ist. Bruno Kaufmann leitet in seiner Wohngemeinde Falun die lokale Wahlbehörde und den sogenannten Demokratierat, ein Gremium, das die Partizipation der Bürgerinnen und Bürger fördert. Seine Rolle als Parteimitglied relativiert Kaufmann: «Das hiesige System setzt für solche Aufgaben eine Parteimitgliedschaft voraus, weshalb ich auf eine entsprechende Anfrage der Miljöpartiet [Grüne Partei Schwedens, Anm. d. Red.] beigetreten bin.»
Dennoch steht die Frage im Raum, ob dem Korrespondenten die (lokal)politischen Mandate in die Quere kommen. Kaufmann findet, er könne hier gut trennen: «Das fällt allerdings auch nicht sehr schwer, da ich journalistisch als Korrespondent ganz andere Fragen betreue als etwa ein Lokaljournalist bei einer hiesigen Zeitung.» Das ist allerdings nicht ganz die Wahrheit. Denn das politische Engagement kann sich sehr wohl als hinderlich erweisen für die journalistische Arbeit. Sollten die schwedischen Grünen wieder vermehrt ins Zentrum des öffentlichen Interesse auch ausserhalb des Landes rücken, was mit einem Erfolg bei den Parlamentswahlen im kommenden Herbst der Fall wäre, müsste Kaufmann in den Ausstand treten. Das würde er selbstverständlich auch tun, «solange ich ein Mandat im Namen einer Partei einnehme». Mit der Redaktion in Bern sei das alles abgesprochen. «Ich habe dazu meine Kollegen immer auf dem Laufenden gehalten», teilt Kaufmann auf Anfrage mit.
Fredy Gsteiger, Auslandchef und stellvertretender Chefredaktor von Radio SRF, bestätigt das. Für ihn liegt alles im grünen Bereich: «Bruno Kaufmann sehe ich noch nicht einmal als Grenzfall.» Seine politische Betätigung beziehe sich schliesslich nicht auf die Schweiz und er berichte nie über Schweizer Politik. Ausserdem könne man einem Journalisten, der als freier Mitarbeiter für SRF tätig sei, keine weitgehenden Vorschriften machen, «das wäre schlicht unfair».
Gemessen an den Publizistischen Leitlinien und ihrer zentralen Bedeutung für das journalistische Selbstverständnis von SRF überrascht die prominente Ausnahme doch einigermassen, zumal sie das Regelwerk in einem zentralen Punkt relativiert. Wenn es offenbar kein Problem darstellt, dass ein regelmässig im Programm präsenter Korrespondent als Bürger (partei)politisch am Gemeinwesen teilnimmt und dieses als Mandatsträger sogar aktiv mitgestaltet, dann könnte SRF dies zum Anlass nehmen, ihre im Inland restriktiv ausgelegten Richtlinien zu überdenken. Ein medialer Service public, der in der Demokratie eine Schlüsselrolle spielen will, sollte nicht von politischen Eunuchen gestaltet werden, sondern von aktiven Citoyennes und Citoyens.